Ukraine-Krieg treibt Europer zum Umdenken bei Energieversorgung

Ukraine-Krieg treibt Europ?er zum Umdenken bei Energieversorgung James Temple 2 Erdgas-Pumpen in einem Feld in Schneesturm

(Bild: Daniel AJ Sokolov)

Der Konflikt steigert die Energiekosten weiter und zwingt die EU, sich mit ihrer Abh?ngigkeit von russischem Erdgas auseinanderzusetzen.

Die Entscheidung des russischen Pr?sidenten Wladimir Putin, die Ukraine anzugreifen, hat viele entsetzt. Neben vielen weiteren Sorgen, ist die Bef?rchtung gross, dass der jetzt eskalierende Konflikt und die Sanktionen die weltweite Versorgung mit fossilen Brennstoffen gef?hrden k?nnte.

Russland ist einer der gr?ssten Erd?l-, Erdgas- und Kohleproduzenten der Welt. Jede Einschr?nkung des Exports wird sich global auswirken: die Preise schnellen in die H?he und bremsen das Wirtschaftswachstum. Westeuropa ist besonders gef?hrdet, weil es stark von Russlands fossilen Brennstoffen abh?ngig ist - und das, obwohl es sich in den letzten Jahren bem?ht hat, auf sauberere Energiequellen umzusteigen.

Erd?l, Erdgas, Kohle und andere fossile Brennstoffe machen laut einem Bericht der Europ?ischen Kommission [1] vom letzten Jahr mehr als 70 Prozent des gesamten Energieverbrauchs in der Europ?ischen Union aus. Russland lieferte mehr als 41 Prozent des Erdgases, fast 27 Prozent des Roh?ls und Fl?ssiggases sowie etwa 47 Prozent der Kohle.

Selbst Deutschland, das als gr?sste europ?ische Volkswirtschaft viel in erneuerbare Energiequellen investiert hat, ist immer noch stark von fossilen Brennstoffen abh?ngig [2], insbesondere f?r Heizung und Verkehr. Nicht-fossile Energiequellen decken nur 16 Prozent bzw. 7,5 Prozent dieses Bedarfs.

Sanktionen einerseits, Abh?ngigkeit andererseits

Als Reaktion auf Putins Vorgehen k?ndigte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz an, die Zertifizierung der Nord Stream 2-Pipeline, durch die Erdgas von Russland nach Norddeutschland transportiert werden sollte, zu stoppen.

Dar?ber hinaus verh?ngten die Europ?ische Union und die Vereinigten Staaten eine Reihe von Sanktionen [3], darunter strenge Beschr?nkungen f?r einige staatliche Finanzinstitute und russische Eliten.

US-Pr?sident Joe Biden k?ndigte noch strengere Massnahmen gegen Russland an, "wenn es seine Aggression fortsetzt". Er betonte, seine Regierung wolle sicherstellen, dass der Konflikt die Energiekosten f?r die amerikanischen Verbraucher nicht in die H?he treibe. "Wir stimmen uns mit den wichtigsten ?l-Produzenten ab, um gemeinsam in die Sicherung der Stabilit?t der globalen Energieversorgung zu investieren", sagte Biden laut CNN [4] am Dienstag im Weissen Haus. "Das wird die Gaspreise senken. Ich m?chte den Frust der US-B?rger an der Zapfs?ule begrenzen."

Gleich mehrere Szenarien w?rden zu steigenden Energiepreise f?hren: Internationale Sanktionen k?nnten direkt oder indirekt die Produktions- und Vertriebskosten f?r fossile Brennstoffe in die H?he treiben. Durch den Konflikt selbst k?nnten die Erdgaspipelines durch die Ukraine Schaden nehmen. Und Russland k?nnte beschliessen, die Lieferungen aus strategischen Gr?nden zu verlangsamen oder sogar einzustellen.

W?hrend die europ?ischen L?nder andere ?l- und Kohlequellen anzapfen k?nnen, gibt es f?r Erdgas wenig Alternativen. Denn die globalen Vorr?te sowie die bislang bestehenden Pipelines sind knapp. W?rde Russland die Erdgaslieferung an Westeuropa komplett und ?ber einen l?ngeren Zeitraum abschalten, erfordere das umfassende Massnahmen, um Haushalte weiter heizen und die Industrie am Laufen halten zu k?nnen, so eine aktuelle Analyse [17] des wirtschaftswissenschaftlichen Think Tanks Bruegel. Dazu w?rden z?hlen: den Energiebedarf zu senken, die heimische Produktion zu steigern, Notreserven zu nutzen, alternative Lieferanten zu suchen, Atomkraftwerke erst sp?ter als geplant abzuschalten und m?glicherweise sogar, stillgelegte Kohlekraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen.

Warum die Preise jetzt schon steigen

Aufgrund der engen Verflechtung zwischen Russland und Westeuropa w?re ein solches Worst-Case-Szenario jedoch "h?chst unwahrscheinlich", meint Laurent Ruseckas, Executive Director bei IHS Markit, einer Beratungsfirma, die sich auf die Gasm?rkte in Europa und Asien konzentriert. Denn Russland w?rde nicht nur eine wichtige Einnahmequelle verlieren, sondern auch Westeuropa deutlich ver?rgern. Das w?rde die L?nder zwingen, extreme Massnahmen zu ergreifen, um ihre Abh?ngigkeit von den Erdgasimporten ein f?r alle Mal zu beenden. Einige Beobachter bef?rchten, dass weitere L?nder in den Konflikt hineingezogen werden und es zu noch kostspieligeren Sanktionen k?me.

Putin erkl?rte, Russland werde die Erdgaslieferungen an die internationalen M?rkte nicht unterbrechen. [18] Dennoch demonstriert die Situation, wie verwundbar Europa ist - insbesondere nach den Preissteigerungen der letzten Monate. F?r diese Preiserh?hungen gibt es mehrere Gr?nde: erstens erholt sich die Weltwirtschaft nach der Pandemie wieder, weil viele Beschr?nkungen aufgehoben wurden; zweitens ein besonders strenger Winter 2020/2021 in Europa, der die Erdgasreserven ersch?pfte; drittens der steigende Verbrauch von Fl?ssigerdgas in China und geringere Erdgasexporte als ?blich aus Russland. Die Verknappung des Angebots wird von einigen als Strategie Russlands angesehen, um die Preise in die H?he zu treiben oder die Genehmigung f?r die Nord Stream 2-Pipeline durch Deutschland zu erzwingen.

Umkehr auf dem Weg zu Klimazielen?

Nun werden Bef?rchtungen laut, dass die Ereignisse in der Ukraine und die sich daraus ergebenden Unsicherheiten f?r die Energieversorgung die europ?ischen Staats- und Regierungschefs von den f?r Mitte des Jahrhunderts geplanten Klimazielen ablenken k?nne [20]. Sicherlich werden einige Politiker und ?ffentliche Stimmen argumentieren, die Klimapolitik und die Umstellung auf erneuerbare Energiequellen sei f?r die prek?re Energieversorgung Europas verantwortlich. Als Beispiel daf?r gilt die ungew?hnlich geringe Windenergieerzeugung im Vereinigten K?nigreich w?hrend der letzten Monate - eine Folge von aussergew?hnlich schwachen Winden in der Region.

Nikos Tsafos vom Center for Strategic and International Studies jedoch widerspricht diesen Ansichten. [21] Weitere Preisspitzen w?rden die Europ?ische Union eher dazu veranlassen, die Umstellung auf saubere Energie deutlich zu beschleunigen. Bereits jetzt hat die EU einige der weltweit ehrgeizigsten klimapolitischen Massnahmen ergriffen und festgelegt, in relativ kurzer Zeit auf kohlenstofffreie Energieerzeugung und industrielle Verfahren umzustellen. Viele dieser Massnahmen bieten nun auch einen Schutz gegen eine schlechtere Versorgung mit fossilen Brennstoffen.

Mehr von MIT Technology Review Mehr von MIT Technology Review Mehr von MIT Technology Review Mehr von MIT Technology Review [22] Verzicht auf Erdgas - ein langer, schwerer Weg

Dennoch wird die Abkehr von Erdgas wahrscheinlich nur schrittweise erfolgen, meint Anne-Sophie Corbeau, Wissenschaftlerin am Center on Global Energy Policy der Columbia University. Einige osteurop?ische L?nder planen nach wie vor, von Kohle auf Erdgas umzustellen, wodurch die Nachfrage sogar noch w?chst. Dar?ber hinaus spielt Erdgas eine entscheidende Rolle dabei, Energieengp?sse auszugleichen, wenn Sonnen- und Windenergie nicht ausreichen.

Verschiedene L?nder erforschen Alternativen, darunter die Produktion von sogenanntem erneuerbarem Erdgas, das aus organischem Material wie Viehdung und Lebensmittelabf?llen hergestellt werden kann. Eine wachsende Zahl europ?ischer Unternehmen baut zudem Anlagen, um sauberen Wasserstoff zu produzieren. Das Gas k?nnte auch als Energiespeicher und als Ausgangsstoff f?r industrielle Prozesse genutzt werden. Es wird jedoch noch lange dauern, bis eine dieser Alternativen in gr?sserem Umfang zum Einsatz kommt. "Klar ist: Es gibt keine einfachen L?sungen, um vom russischen Gas loszukommen", sagt Corbeau.

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Links in diesem Artikel:
[1] https://op.europa.eu/en/publication-detail/-/publication/41488d59-2032-11ec-bd8e-01aa75ed71a1/language-en/format-PDF/source-search
[2] https://www.umweltbundesamt.de/themen/klima-energie/erneuerbare-energien/erneuerbare-energien-in-zahlen#uberblick
[3] https://www.heise.de/news/Nach-Ukraine-Angriff-EU-will-Russland-Zugang-zu-Schluesseltechnologien-verwehren-6524684.html
[4] https://www.cnn.com/2022/02/22/politics/biden-gas-prices-russia/index.html
[5] https://www.heise.de/hintergrund/CO-einfangen-und-nutzen-Nur-4-von-74-Konzepten-brauchbar-6490952.html
[6] https://www.heise.de/hintergrund/Wie-Zeolithe-Methan-aus-der-Luft-binden-sollen-6371715.html
[7] https://www.heise.de/hintergrund/Neue-Kraftstoffe-neue-Antriebe-Wie-die-Schifffahrt-klimaneutral-werden-kann-6347296.html
[8] https://www.heise.de/hintergrund/Klimaneutralitaet-Was-es-fuer-die-gruene-Null-braucht-6206913.html
[9] https://www.heise.de/hintergrund/Greenwashing-Wie-sich-die-Wirtschaft-klimaneutral-rechnet-6236244.html
[10] https://www.heise.de/hintergrund/So-koennte-man-die-Geothermie-wirklich-fuer-die-Energiewende-einsetzen-6290304.html
[11] https://www.heise.de/hintergrund/Schweden-Klimaschule-fuer-Manager-und-Vorstaende-6319858.html
[12] https://www.heise.de/meinung/Kommentar-Forschung-zum-Solar-Geoengineering-muss-weitergehen-6343174.html
[13] https://www.heise.de/hintergrund/Hannover-an-der-Cote-d-Azur-Welche-Regionen-vom-Klimawandel-profitieren-koennten-6341070.html
[14] https://www.heise.de/hintergrund/Klimabedingte-Krankheiten-Wie-Hitzewellen-unserem-Koerper-zusetzen-6333457.html
[15] https://www.heise.de/hintergrund/Windkraft-Strom-speichern-mit-Unterwasser-Blase-6332508.html
[16] https://www.heise.de/hintergrund/Sanierung-Altbauten-klimafreundlich-daemmen-und-heizen-6293519.html
[17] https://www.bruegel.org/2022/01/can-europe-survive-painlessly-without-russian-gas/
[18] https://www.reuters.com/article/ukraine-crisis-putin-gas-idCNL1N2UX0PS
[19] https://www.heise.de/hintergrund/Sanierung-Altbauten-klimafreundlich-daemmen-und-heizen-6293519.html
[20] https://www.nytimes.com/2022/02/23/business/economy/russia-ukraine-energy-security-climate-change.html
[21] https://twitter.com/ntsafos/status/1492215406844645376
[22] https://www.heise.de/tr/
[23] https://www.heise.de/hintergrund/Kampf-gegen-den-Klimawandel-Geht-s-auch-ohne-Erdgas-6236264.html
[24] mailto:jle@heise.de

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